Einfach nur mal dasitzen
Die Welt ist im Wandel. Zeitungen sprechen von einer Polykrise: Klimakrise, Coronakrise, Energiekrise, Hungerkrise, Ukrainekrieg… Da ist die Kirchenkrise oftmals noch gar nicht mit drin.
Geht es Ihnen manchmal auch so: Sie wollen einfach nur dasitzen und vor sich hinschauen?
Keine Nachrichten – auch keine guten. Keine Informationen über Verkehrsstaus, Seitenbachermüsli, Spaßanrufe, Demonstrationen oder politische Debatten. Kein WhatsApp und keine Reels auf Instagram oder TikTok. Kein Gezänke in der Familie. Keine Probleme am Arbeitsplatz. Kein Drama mit den Nachbarn. Keine Baustelle vor dem Haus.
Nur Ruhe! Einfach mal eine Woche ganz weg. Andere Menschen sehen, oder noch besser: keine. In eine einsame Berghütte mit Vorräten für eine Woche, oder sicherheitshalber einen Monat, vielleicht auch für ein Jahr. Ravioli pur!
Also nicht für immer. Die Welt wird auch nach unserer Auszeit noch immer in der Krise sein. Die Probleme werden bestimmt auf uns warten. Nur eine Zeit der Leere, zum Kraft tanken, zum Atem holen.
Also keine innere Kündigung vor dem Leben. Keine dauerhafte Flucht, in die Vorstellung, dass wir zum vermeintlich Früher-Besseren zurückkehren könnten. Kein Abschotten der eigenen kleinen Welt, vor der bösen Welt da draußen. Keine Weigerung über den eigenen, vertrauten Kirchturm zu blicken. Kein Vertrauensverlust in den Geist Gottes. Keine Feigheit vor dem nötigen Zupacken.
Aber alles hat seine Zeit. Und manchmal ist die Sehnsucht groß, diese schnelllebige Zeit einfach anzuhalten. Und – wie schon Astrid Lindgren sagt – muss da auch noch Zeit sein, einfach dazusitzen und vor sich hin zu schauen. Vielleicht sollten wir das einfach jeden Tag mindestens einmal tun.
Foto: Studio Romantic
Über den Autor/ die Autorin
Josef Eberhard
Josef Eberhard lebt mit seiner Familie im Landkreis Augsburg. Er ist Diplom-Betriebswirt, Diplom-Pädagoge und Fundraiser. Für die Pallottiner arbeitet er als Referent für die Öffentlichkeitsarbeit und kümmert sich beispielsweise um Internetauftritte und Social Media. Seine kirchliche Prägung stammt aus der Jugendarbeit.
Buch-Empfehlung: „Ausgesetzt zur Existenz“; Franz Sternbald
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Schwermut wird der Leichtsinn des transhumanen Zeitalters sein
.. gegen die drohende Leere und Vereinsamung eines in sich verkrümmten Herzen, aus dem Verlust der spirituellen Dimension in der Reduktion des Ego auf einen materialistischen Daseinsentwurf. In einem solchen Zustand könnte auch diejenige Befindlichkeit begründet sein, die mit ‚Unerlöstheit’ des Menschen bezeichnet worden ist.
In der Bindung an die kleinste Münze der Verzeitlichung, den materiellen Besitz, und die Reduktion der eigenen Wirkungmächtigkeit auf die Erfordernisse der ökonomischen Effizienz, wird auf eben jene Quelle verzichtet, aus der eine Werthaltigkeit der Welt von Bedeutsamkeit zu schöpfen wäre. „Willst der Welt Du Dich erfreuen, mußt der Welt Du Wert verleihen“
Aus dem Abzug des lebendigen Geistes aus den Dingen und der Beschäftigung mit ihnen, folgt die Anverwandlung des Lebendigen zur bloßen Schwere und Trägheit, die auch alleine der physikalischen Qualität von Masse entspricht. Die Seele, als Begriff des lebendigen Willens in der verzeitlichten Individuation eines unendlichen Gewahrseins, eignet sich auf diese Weise den Charakter der niedrigsten Stufe der materiellen Ausprägung des Willens an. Dieser besteht in der Gesetzmäßigkeit der mechanischen Kinematik bis hinab zur Erstarrung in der Statik. Erst auf der Ebene eines solchen Verständnisses vom Wert des lebendigen Wesens wird erklärbar, daß Vorschläge von innovativen Wirtschaftsverbänden, den Zahlkellner im Lokal oder die Pflegekraft im Heim durch robotische Androiden adäquat zu ersetzen, kein Grauen mehr auslösen können.
Demzufolge werden auch jene höheren Ausprägungen des Willens in der Natur, die sich im evolvierenden Aufschwung zum Weltgeschehen entrollen, ins Undenkbare entlassen. Ein derartiger Dimensionsverlust ereignet sich im Bewußtsein Desjenigen, der der Trägheit des Herzens vollwertig anheimgefallen ist. Die aus jener Acedia folgende Schwermut des Menschen war einst als ein Ausdruck der Sündhaftigkeit betrachtet worden. Soweit müßte eigentlich nicht von einem hoffnungslosen Fall des endgültigen Verlorenseins ausgegangen werden. Es ist der Zustand des in des zur Existenz Ausgesetzten, eines Ge-worfenen, ohne doch gänzlich ver-worfen zu sein, der sich der Möglichkeit eine ‚Ent-Werfens‘ noch nicht bewußt zu werden vermochte. Immerhin könnte ein derartiger Zustand, auch als ein passagerer Zustand im Prozeß einer Bewußtwerdung betrachtet werden, der sich in seinem Entwicklungsgang gleichsam in der Indifferenz am Scheitelpunkt vor dem Umschwung gerade an der Wende befindet. Mit dem Ausspruch der Verdammnis sollte also nicht allzu leichtfertig umgegangen werden. Das Evangelium hält stets einen hoffnungsvollen Ausweg bereit. Hier wird kein Urteil gesprochen, sondern eine Verheißung.
Innerhalb der kirchlichen Gemeinden hängt über den Betroffenen ein solches Schwert der Verdammnis, daß sie ihren Blick nicht aus der Versenkung zu heben wagen. Daher muß die Hoffnung, wie stets, auf die Aussagen von randständigen Interpreten der christlichen Weltsicht gesetzt werden – auf Kierkegaard und Nietzsche.
Die Schwermut des Menschen, der der Acedia anheimgefallen ist, ist verschiedentlich, u.a. von Sören Kierkegaard und Romano Guardini, als Grundbefindlichkeit der Angst und des Überdrusses beschrieben worden. Als existentielle Bedrohung des modernen Menschen vom seelisch-geistigen ‚Erlöschen’, ist dieser Zusammenhang in der Tradition des Existenzialismus, von Nietzsche bis Sartre, aufgenommen worden. Deren Analyse greift durchweg tiefer als es bislang von der christlichen Deutung zu erwarten war. Daher ist die ‚christentümliche‘ Gemeinde als Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR) auch nicht berufen, die Deutung der ‚frohen Botschaft’ (eu angelum) vollmächtig vorzunehmen, solange diese den Menschen nicht in allen Dimensionen seiner Seins zu erfassen in der Lage ist. In ihr wird das Individuum lediglich als Multiplikator des kollektiven Interesses wahrgenommen, und seine existenzielle Bedrohung als individuelle Schuld zugewiesen. In aller Kürze ausgedrückt heißt das, im christlichen Kollektiv werden die Gewinne sozialisiert, und die Verluste individualisiert.
Im wahrhaftigen Endstadium der Acedia, dem solcherart ‚unerlösten’ Zustand, befindet sich Derjenige, den Nietzsche als den sogenannten „letzten Menschen“ bezeichnet hat. Von diesem war innerhalb dieser Darstellung bereits in Bezug auf den Notstand der Herzensbildung eines oberflächlichen Bedieners der Bedieneroberflächen von Unterhaltungsmedien und Kommunikationstechnik, Erwähnung. Die inhaltliche Leere seiner Beschäftigung korrespondiert mit der Anspruchslosigkeit an die Bewußtwerdung seiner ureigenen Wesentlichkeit. In diesem Gleichgewicht auf der seelisch-geistigen Talsohle empfindet der „letzte Mensch“ darüber aber kein Unbehagen mehr. Sein existenzieller Verlust wird ihm gar nicht mehr bewußt. Dies ist der Moment, wo die Schwere seines Mutes, in die Leichtigkeit seines eingebildeten Glückes umschlägt. Einem solchen Menschen muß der Appell von der ‚Erlösung’ (aus dem Festsitz seines Bewußtseins) wie die reine Torheit klingen.
Nach der Vollendung des transhumanen Zeitalters im Posthumanismus, werden wir vergessen haben, was wir einst verloren.
„ Ausgesetzt zur Existenz “ – warum der Mensch ein Schicksal ist
– vom Ausgang aus der unverschuldeten Absurdität –
Franz Sternbald
Verlag BoD – D-Norderstedt
Vielen Dank für Ihre Buchwerbung als Antwort auf unseren Eingemischt-Beitrag. Wir teilen die von Ihnen zitierten und angeführten Einschätzungen und Schlussfolgerungen nicht. Trotzdem danke, dass Sie sich einmischen!
ES GIBT NICHTS, DAS NICHT NICHTS IST
Die Konsequenz ist, dass wir in der Sinnfindung unseres Lebens nicht nur mit der Frage beginnen, „Wie finde ich zu Gott?“, sondern auch „Wie finde ich zu mir selbst?“ Wir werden dabei feststellen, dass uns diese Weise der Gottfindung schon ins Stammbuch geschrieben ist, nämlich dass wir uns sehen sollen als Bild und Gleichnis Gottes. Was liegt dann näher, als dass wir uns an diesem Bild orientieren, das wir selber sind, um uns mehr und mehr in dieses Urbild verwandeln zu lassen? Gemäß meiner Erfahrung auf dem Zen-Weg muss ich sagen: Unsere Gottfindung kann zeitgemäß geschehen in buddhistischer Methode. Der buddhistische Weg zum Absoluten führt ganz und gar über den Menschen. In buddhistischer Sprache ist das Absolute ausgedrückt mit Buddha-Weg. Eines der berühmtesten Worte von Dôgen Zenji (1200–1253) beschreibt diesen Weg: „Den Buddha-Weg zu studieren bedeutet, sich selbst zu studieren. Sich selbst zu studieren, bedeutet, sich selbst zu vergessen.“16 Sich selbst vergessen bedeutet, das Absolute ungehindert durchstrahlen zu lassen. Für den Weg christlicher Gottfindung heißt das, sich selbst zu studieren, sich selbst auf dem Erfahrungsweg unters Mikroskop zu legen und dabei zu sehen, was es zu sehen gibt: Nichts. Nichts, das nicht Nichts ist. Welch eine Entsprechung zur naturwissenschaftlichen Forschung, die nach dem kleinsten Teilchen, dem Gottesteilchen, sucht. Dieses Teilchen ist kein Etwas, das in Verkleinerungen neben anderen Teilchen ausgemacht werden könnte. Es hat mit groß oder klein nichts zu tun, es hat auch kein Gewicht und keine Form. Es ist eine Wirkweise, die die Materie des gesamten Universums entstehen lässt. So ist auch das Wort Teilchen irreführend, als würde es unter dem Mikroskop mit genügender Vergrößerung ausgemacht werden können. Sich selbst zu studieren heißt, nach dem Ich-Teilchen zu suchen, in dem man das Ich verstehen könnte. Man kann aber kein Ich-Element finden, das das Ich verständlich machen könnte. Je mehr ich nach dem Ich forsche, desto mehr entzieht es sich einem Verständnis, desto durchsichtiger wird alles, was in den Blick kommt. Letztlich bleibt der Blick an nichts haften. Was ist, ist nicht erkennbar. Einerseits ist es nicht erkennbar, und andererseits lebt man und spricht man von diesem Ich in Selbstverständlichkeit. Sich selbst studieren heißt aber, sich nicht von scheinbar Selbstverständlichem täuschen zu lassen, sondern es zu vergessen: die Täuschungen zu vergessen.
Auch ein Buchtipp:
GEBET ALS SELBSTGESPRÄCH
GEBET UND KOAN ALS BEZIEHUNG ZU GOTT IN MIR
Pater Johannes Kopp SAC, Pallotti Verlag, S. 14f.