Was das Verfassungsrecht sagt

Rechtlicher Blickwinkel zum Blog-Beitrag „Der Blick der Virologen reicht nicht aus“

In ihrem Blogbeitrag schreiben die Autoren, dass im Bezug der Corona-Krise der öffentliche Diskurs nicht allein von Virologen bestimmt werden sollte, sondern auch andere Disziplinen hierzu mit einbezogen werden sollten. Zu den vorgebrachten theologischen, ethischen und pflegerischen Blickwinkeln soll im Rahmen einer Fortführung nunmehr hierzu auch ein rechtlicher Blickwinkel beigebracht werden.

Der rechtliche Blickwinkel

Der rechtliche Blickwinkel in Bezug auf die Corona-Krise dürfte in mittlerer Zukunft vor allem durch das über allem stehende Verfassungsrecht geprägt werden. Bei Entscheidungen über die Beschränkungen des Sozial-, Berufs-, und Familienlebens zu Gunsten der Gesundheit der Bevölkerung handelt es sich um eine klassische verfassungsrechtliche Abwägung, wenn zwei Grundrechte betroffen sind, die sich gegenseitig beeinträchtigen. So stehen hier auf der einen Seite das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und auf der anderen Seite diverse Freiheitsgrundrechte wie – nicht abschließend – die allgemeine Handlungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, auch die Religionsfreiheit oder die Berufs- und die Gewerbefreiheit. Im Falle konkurrierender Grundrechte hat das Bundesverfassungsgericht die Rechtsfigur der sogenannten Praktischen Konkordanz entwickelt. Dies bedeutet, dass im Falle widerstreitender Grundrechte eine Abwägung gefunden werden muss, um den Eingriff in das eine Grundrecht durch das andere Grundrecht so gering wie möglich zu halten aber dem Wesensgehalt beider Grundrechte so weit wie möglich zur Geltung zu bringen.

Es müssen mithin, bildlich gesprochen, Korrektive gefunden werden, wenn die eine Seite der Waage zu weit nach unten sinkt.

Hier dürfte sich anbieten, das jeweilige Gewicht auf der Waagschale anhand des Begriffspaares
(Freiheits-) Einschnitt / (medizinische) Gefährlichkeit zu bestimmen. Im Ergebnis könnte eine Abwägung stehen, die untersucht, wie einschneidend eine freiheitsbegrenzende Maßnahme auf der einen Seite bzw. wie medizinisch gefährlich die Lockerung derselben ist. So könnte sich ein Maßstab entwickeln für das Leben mit dem Corona-Virus. So wird mutmaßlich die Untersagung von Großveranstaltung als Einschnitt in das Leben wohl als zumutbar betrachtet werden müssen im Vergleich zu der erheblichen Gefährlichkeit der Wiederausbreitung des Virus`, weil hier der Einschnitt für den Bürger (sicher jedoch nicht zwingend für die Gewerbetreibenden und/oder Angestellten in diesen Bereichen) nicht allzu weitreichend, die medizinische Gefahr aber sehr groß ist.

Umgekehrt dürften Einschnitte im Bereich des unmittelbaren sozialen Umfelds unter wenigen Personen einen erheblichen Einschnitt in die Freiheit der Bürger darstellen, die Infektionsgefahren aber verhältnismäßig überschaubar sein.

Schwierig wird die Abwägung sicherlich in den Fällen, in welchen sowohl Einschnitt als auch Gefahr hoch sind, beispielsweise seinen hier die Besuche in Pflegeeinrichtungen genannt, die sowohl im Hinblick auf die Vereinsamung pflegebedürftiger Personen als auch auf die Infektionsgefahr von erheblicher Natur sind. Dies verfassungsrechtliche abzuwägen, dürfte eine rechtliche Mammutaufgabe werden, in welcher notgedrungen Kompromisse gefunden werden müssen, die ihrerseits für Viele nicht zufriedenstellend sein dürften, oder um es mit einem englischen Rechtssprichwort zu sagen: hard cases make bad law – sinngemäß etwa: schwierige Fälle führen zu unbefriedigendem Recht.

Bild: Ocskay Mark Adobe Stock

Über den Autor/ die Autorin

Dr. Roland Weis

Dr. Roland Weis (geb. 1977 in Friedberg) hat in Augsburg Rechtswissenschaften studiert und dort auch promoviert. Er ist Justitiar der Pallottiner – Körperschaft des öffentlichen Rechts. Weitere Informationen auf der Website der Pallottiner.