Entbindung ins Leben

Entbindung ins Leben

Es war ja fast schon lustig, was die Bistümer da zu Beginn der Corona-Krise verkündeten. Sie sagten nicht nur alle Gottesdienste vernünftigerweise ab. Nein, manche Diözesanleitungen entbanden ihre Gläubigen ausdrücklich von der Sonntagspflicht! Wie bitte? Manch einem meiner Bekannten zauberte diese Entbindung eher ein Lächeln ins Gesicht, oder sorgte sogar für ein ungläubiges Kopfschütteln. Das ist für mich ein Signal. Und es lohnt sich, heute im Abstand von ein paar Wochen, über dieses Zeichen nachzudenken.

Denn es hat schon etwas von absurdem Theater, wo zwei Realitäten aufeinanderprallen: die Sicht der Institution auf die Welt und die Sicht der Menschen auf ihr Leben. Und wer ganz genau hinguckt, erkennt statt einer Entbindung einen Bruch. Ein Bruch zwischen Kirche und Welt, der aber auch zum Aufbruch werden könnte. Zur Chance. Denn Menschen gehen heute nicht mehr aus Pflicht zur Kirche. Sie gehen freiwillig, weil sie es brauchen und wollen. Sie müssen von keiner Sonntagspflicht entbunden werden. Sie haben sich bereits selbst entbunden.

Das Gebot der Stunde ist nun, diese Entbindung fortzuführen in eine neue Bindung. Die Gläubigen aus einem kindlichen Betreuungsschema zu entlassen und ins Mündigwerden, ins Erwachsenwerden zu begleiten. Wenn jetzt keine Gottesdienste mehr im Gotteshaus gefeiert werden können, dann dürfen wir die Menschen einladen, die Hauskirche wieder zu entdecken. Die Familien können sich nun genauso neu als christliche Gemeinschaft finden wie manche Orden, die ihre Hausgemeinschaft plötzlich intensiver erleben als sonst.

Der Gottesdienst kann zurzeit formal nicht gefeiert werden. Das ist so. Aber wir lassen nicht nur etwas sein, sondern wir dürfen eine neue geistliche Kultur finden. Wir können eine Sonntagskultur neu entdecken. Die Botschaft heißt nicht: Ihr seid von der Gottesdienstpflicht befreit. Sondern die Botschaft lautet: Lernt Gott und das Leben feiern, so gut es eben gerade geht.

Trotzt dem Gefühl des Ausgeliefertseins. Nehmt die Realität an und gestaltet sie. Dann wird die Entbindung eine Geburt. Und so verändern wir die Kirche, die Welt und unser Leben.

 

Bild: fotoknips Adobe Stock

Über den Autor/ die Autorin

Pater Michael Pfenning SAC

Pater Michael Pfenning SAC (geb. 1959 in Spaichingen) trat nach einer Krankenpfleger-Ausbildung 1980 der Gemeinschaft der Pallottiner bei und studierte Theologie. Seit 2013 ist er als Vizeprovinzial der Pallottiner in Friedberg ansässig. Weitere Informationen auf der Website der Pallottiner.