Religionsunterricht: Da fühle ich mich angesprochen!

Religionsunterricht gerät immer wieder in die Diskussion, gleichzeitig können in „Reli“ auch persönliche Fragen besprochen werden. Claudia Klein (rpp-katholisch.de) sprach mit unserem Mitbruder Matthias Terhorst darüber, was der Religionsunterricht an einem Berufskolleg leisten muss. Matthias Terhorst ist Pallottiner und arbeitet als Schulseelsorger sowie Religions- und Sportlehrer am St. Franziskus-Berufskolleg in Hamm. Im Interview erzählt er, dass Lehrerinnen und Lehrer auch bei Problemen für die Schülerinnen und Schüler da sind und welche Fragen „Menschen in Übergängen“ in die Schule mitbringen.

Herr Terhorst, wie wichtig ist grundsätzlich religiöse Bildung?

Religiöse Bildung ist meiner Ansicht nach sehr wichtig. Ich arbeite an einem sozialpädagogischen Berufskolleg. Im Religionsunterricht geht es nicht nur um die Frage der Wissens- oder Methodenvermittlung, sondern auch um Menschenbildung. Und Menschenbildung braucht eine religiöse Grundlage, um in verschiedenen Situationen entscheidungsfähig sein zu können. Es kommt nicht unbedingt auf das Katholisch- oder Evangelisch-Sein an. Aber man braucht einen gewissen Sensus der Religiosität. Das bedeutet, man muss wissen: Welches Potenzial steckt in Religiosität? Welche Gefahren und welche Grenzen hat sie?

Was unterscheidet die Situation der Lernenden am Berufskolleg von einer Realschule oder einem Gymnasium?

Der Religionsunterricht am Berufskolleg muss junge Menschen im Übergang in ihrer Selbstständigkeit unterstützen. Die Lernenden auf unserer Schule sind hauptsächlich zwischen 16 und 23 Jahre alt. Viele junge Menschen sind verunsichert und Verunsicherung braucht Unterstützung. Gerade die jungen Erwachsenen sind in einer Umbruchphase: Sie sind gerade zuhause bei den Eltern ausgezogen, oder leben unter Umständen schon nicht mehr zuhause. Sie haben eine Berufsentscheidung getroffen oder werden sie bald treffen müssen, die über ihr Leben entscheidet. Sie haben ihre ersten Beziehungserfahrungen hinter sich oder machen gerade Beziehungserfahrungen. Vielleicht sind auch Oma und Opa gestorben. Für diese Menschen ist die Relevanz von Sterben und Leben auf jeder Ebene ihres Daseins elementar. Ich habe den Eindruck, dass Schule – vor allen Dingen der Religionsunterricht oder vielleicht auch meine Tätigkeit als Schulseelsorger – die Möglichkeit bietet, die Lernenden zu unterstützen in der Selbstständigkeit wachsen zu können. Dafür ist für mich Religiosität unmittelbar erforderlich.

Zusätzlich haben wir viele Erwachsene Anfang bis Mitte 40, die an Umschulungsmaßnahmen beispielsweise zur Erzieherin oder zum Erzieher teilnehmen. Auch hier stoßen wir auf Verunsicherungspotential, auch wenn diese Menschen schon fester im Leben verankert sind.

Wie gestalten Sie vor diesem Hintergrund den Religionsunterricht?

Ich kann im Rahmen des Religionsunterrichtes auf wenig religiöses Vorwissen bei den Lernenden zurückgreifen, aber andererseits auch auf viel Interesse stoßen. Das liegt vielleicht daran, dass wir als katholisches Berufskolleg von unserer Seite aus sagen: Wir sind für Euch da, wenn es Probleme gibt. Andere Schülerinnen und Schüler wiederum entscheiden sich bewusst zu einem katholischen Berufskolleg zu gehen, weil sie genau ihre Lebensfragen im Rahmen des Unterrichts thematisiert haben wollen, um für sich selbst mehr Orientierung zu bekommen.

In der Praxis bedeutet das für mich als Lehrer, dass wir uns im Religionsunterricht darüber unterhalten können, was ein Menschenbild ist, und zwar ein christliches Menschenbild, ohne dabei andere Religionen auszuschließen. Es heißt aber auch, dass ich auch Fragen außerhalb des Lehrplans beantworten muss.

Es braucht meiner Ansicht nach Religionsunterricht, der Themen so zur Sprache bringt, dass im Rahmen einer Diskussion die Schülerinnen und Schüler für sich selbst sagen können: Da fühle ich mich angesprochen. Bestenfalls wollen sie mehr erfahren. Als Lehrer muss man aber auch damit umgehen, dass Lernende sich abwenden.

Sie sprechen also vom Religionsunterricht als Hilfe zur Selbständigkeit und Menschenbildung. Können Sie das noch einmal genauer erklären?

Ich bin ganz klar religiös geprägt. Mein Menschenbild ist im Kern und Angelpunkt das Bild, das Jesus – biblisch überliefert – artikuliert hat: Das Menschenbild, das er in seiner Haltung, seinen Reaktionen, seinem Umgang mit Menschen eingebracht hat und wofür er stand.

Er suchte Kontakt zu jedem Menschen, unabhängig von Beruf oder Interesse. Jesus hat immer auf Gott hingewiesen. Gott ermöglicht es, das Maximale aus unserem eigenen Potenzial, aus unserem eigenen Leben, herauszuholen.
Unser Ordensgründer Vinzenz Pallotti spricht vom Gott der unendlichen Liebe. Mit diesem Menschenbild wird diese unendliche Liebe, die das Leben für uns zur Verfügung stellt, erfahrbar, spürbar und nahbar, so dass ich im Idealfall mein ganzes Potenzial ausschöpfe.

Was bedeutet die Schulseelsorge für Sie?

Schulseelsorge hat etwas mit Leidenschaft zu tun. Gerade in der Coronazeit habe ich mich auf alle möglichen Probleme eingelassen und mich dabei etwas selbst vergessen. Heute weiß ich: Das Amt der Seelsorge bedeutet auch, für sich selbst Seelsorger zu sein. Mein christliches Selbstverständnis ist wichtig dafür, den Schülerinnen und Schülern zu signalisieren, dass sie so wie sie sind, mit ihrem Denken, ihrem Fühlen und auch mit all ihren Problemen, gewollt und geliebt sind. Sie alle haben einen Grund und eine Daseinsberechtigung. Als Schulseelsorger möchte ich sie darin stärken, dass dieses Gefühl des Gewolltseins im Alltag eine Unterstützung ist.

Welche Situation aus ihrem Unterricht fällt ihnen dazu ein?

Ich hatte eine Schülerin in meinem katholischen Religionsunterricht, die zu Beginn des Schuljahres klar artikuliert hat: „Ich weiß gar nicht, warum ich im Religionsunterricht sitze. Ich gehöre gar nicht hierher, gar nicht auf diese Schule. Ich bin nur hier, weil ich keine Alternative hatte.“ Diese Schülerin fragte mich einmal im Unterricht: „Herr Terhorst, dieses Beten, was ist denn dieser Blödsinn eigentlich? Wofür brauchen wir das?“ In diesem Moment war klar, ich musste im Unterricht auf diese Frage eingehen. Ich habe ihr also erklärt, dass ein Gebet ermöglicht, in einer Art und Weise mit Gott Kontakt aufzunehmen.

Ich organisiere einmal im Jahr eine Fahrt nach Taizé und diese Schülerin hatte sich zur Fahrt angemeldet. Vor allem wegen der Jugendbegegnung und weil sie „mal raus“ wollte, wie sie sagte. In Taizé habe ich dann mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern über das Thema Gebet gesprochen. Abends sehe ich dann diese eine Schülerin im Rahmen der offenen Kirche. Ich hatte von außen den Eindruck, dass sie sich eingelassen hat auf das Gebet, im Sinne von: Ich bin da, ich bin vor Gott, ich artikuliere meine Gedanken und versuche in irgendeiner Art und Weise einen Moment göttlicher Nähe zuzulassen. Ich würde also sagen: Als Relilehrer, Frage beantwortet.

 

Interview: Claudia Klein / Religionspädagogisches Portal der Katholischen Kirche in Deutschland (rpp-katholisch.de)
Das religionspädagogische Portal rpp-katholisch.de wird im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz betrieben. Die Kooperationspartner (Bistümer, Verbände, Hilfswerke, Einrichtungen) stellen Material für die kostenlose Nutzung im Unterricht zur Verfügung. Darüber hinaus bietet es aktuelle Informationen und eine Übersicht über das Fortbildungsangebot in den Diözesen und Einrichtungen. Hier geht es zum Originalbeitrag.
Foto: Daniel Ernst Adobe Stock

Über den Autor/ die Autorin

Matthias Terhorst SAC

Bruder Matthias Terhorst SAC lebt in Münster und unterrichtet am St.-Franziskus-Berufskolleg Hamm die Fächer Sport und Katholische Religionslehre. Er stammt aus Bocholt, ist Jahrgang 81 und seit 2012 bei den Pallottinern.