Ein Geschmack von Himmel - Sorge dich nicht!

Ein Geschmack von Himmel

„Sorge dich nicht um das, was kommen mag,
weine nicht um das was vergeht.
Aber sorge, dich nicht selbst zu verlieren,
und weine, wenn du dahintreibst im Strome der Zeit,
ohne den Himmel in dir zu tragen.“

Diese Zeilen schrieb der evangelische Theologe, Philosoph und Pädagoge Friedrich Schleiermacher im Jahr 1800. Bewegte Zeiten waren das damals um die Jahrhundertwende. Die Aufklärung hatte den Gedanken hervorgebracht, dass alle Menschen von Natur aus frei und vernunftbegabt sind. Solche Gedanken sind heute selbstverständlich. Damals führten sie zu den Umbrüchen der französischen Revolution.

Heute sind die Zeiten ähnlich. Was bisher für normal und selbstverständlich gehalten wurde, gerät ins Wanken. Selbstverständlich war in unseren Kreisen beste gesundheitliche Versorgung. Ein kleines widerständiges und offensichtlich sehr wandlungsfähiges Virus namens Corona zeigt uns Grenzen auf. Erderwärmung und Klimawandel mahnen darüber hinaus zu zügigem Handeln. Hitze und Dürre auf der einen Seite, Schneeschmelze und Flutkatastrophen auf der anderen. Schnelles Handeln ist gefragt, aber kein hektischer und unüberlegter Aktionismus. Ja, unser Leben ist bedroht. Unser Leben ist zerbrechlich und endlich, im Großen wie im Kleinen. Wir kennen die Erfahrung, dass uns manchmal der Boden unter den Füßen wegbricht. Menschen erhalten die Diagnose einer unheilbaren Krankheit. Von uns geliebte und geschätzte Menschen sterben. Beziehungen und Freundschaften zerbrechen. Der November ist kein schöner Monat mit seinem tristen Wetter und seinem vielfältigen Totengedenken. Er liegt hinter uns, die Coronapandemie aber leider nicht, eher ganz im Gegenteil. Neue Varianten des Virus, Delta und Omikron genannt, halten uns in Atem.

Advent: Sehnsucht nach Licht

Unterdessen ist es Advent geworden. Adventszeit ist eine eher schöne Zeit voller Erwartung und Vorfreude. Doch Corona macht uns weiter zu schaffen. Viele sind müde und ausgelaugt. Wir sehnen uns nach einem anderen Leben.

Die Adventszeit lädt uns ein, diese Sehnsucht nicht totzuschlagen, sondern ihr nachzuspüren. Damit wir uns nicht selbst verlieren und dahintreiben im Strom der Zeit, ohne den Himmel in uns zu tragen. Wir haben die ersten Kerzen am Adventskranz entzündet. Ein kleines Licht gegen eine riesengroße Dunkelheit. Die scheint übermächtig, aber sie kommt nicht an gegen das kleine Licht. Es leuchtet in der großen Dunkelheit. Nun ist es nicht mehr stockdunkel. Ein kleines Licht, das mir auf meinem Weg leuchtet. Ein kleines Licht, das Hoffnung gibt. Advent: Sehnsucht nach Licht. Ich möchte in mir die Sehnsucht danach wach halten, wie eine Kerze zu leuchten in den Dunkelheiten unseres Lebens und ein wenig Wärme zu schenken, wo allzu rauer und kalter Wind weht in unserer Gesellschaft, in der Welt, auch in der Kirche. Menschen sollen nicht erfrieren müssen. Menschen sollen nicht dahintreiben müssen im Strom der Zeit ohne Sehnsucht nach dem Himmel und ohne einen Geschmack von Himmel im Herzen. Niemand soll leben müssen ohne zu spüren, dass ein kleines Licht entzündet wird, das Mut macht und Hoffnung gibt.

Den Himmel im Herzen behalten

Es trifft sich gut, dass jedes Jahr im Advent, am 10. Dezember der Tag der Menschenrechte begangen wird. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 war entstanden unter dem Eindruck des 2. Weltkrieges. So etwas sollte sich nie mehr wiederholen. Die Erklärung der Menschenrechte ist so ein kleines Licht der Hoffnung in der Dunkelheit einer Welt, in der es so viel Unterdrückung und Missbrauch von Macht gibt. Ihre Umsetzung beginnt im Kleinen. Wer mehr hat, soll mit denen teilen, die nichts haben. Wer mit Geld zu tun hat, soll sich nicht unrechtmäßig bereichern. Wer Macht übertragen bekommen hat, soll sie nicht ausnutzen zulasten derer, die sich nicht zur Wehr setzen können. Manche meinen sich über die Menschenrechte hinwegsetzen und anderes an ihre Stelle setzen zu können. Doch Toleranz und Respekt finden ihre Grenze an Intoleranz und Respektlosigkeit. Darum scheint es in diesen Zeiten des Umbruchs wichtig zu sein, sich weniger zu sorgen um das, was kommen mag, sondern vielmehr Sorge dafür zu tragen, den Himmel im Herzen nicht zu verlieren. Advent 2021: Dass doch die Wolken über unserem Leben aufreißen möchten!

Bild: Yuriy Poznukhov Adobe Stock

Über den Autor/ die Autorin

Pater Heinz-Willi Rivert SAC

Geboren 1960 in Rheinbach bei Bonn. Katholischer Priester in der Gemeinschaft der Pallottiner, Diplom in Theologie und in Psychologie. Ehemals in der Jugend-, Pfarr-, Schul- und Hochschulseelsorge tätig, kurz nach der Wende von 1989 auch für drei Jahre im Bistum Erfurt. Seit 2020 lebt er im Missionshaus der Pallottiner in Limburg/Lahn. Er ist tätig in der Seelsorge, in religiöser Erwachsenenbildung und in der freien Mitarbeit bei verschiedenen Publikationen.