Raus aus den Wagenburgen!
Ausgerechnet dieser Text! „Leben in gelingenden Beziehungen“ lautete die Überschrift des Papiers, das zu Beginn der vierten Sitzung des Synodalen Weges bei den Bischöfen durchfiel. Ausgerechnet! Dabei bräuchte unsere Gesellschaft doch so dringend Beziehungs-Vorbilder. Sie bräuchte Beispiele für einen konstruktiven Dialog zwischen Gruppen und Menschen mit den unterschiedlichsten Überzeugungen, Kulturen und Religionen. Wir bräuchten dabei das Zeugnis der Kirche. Doch wir erleben diesbezüglich in diesen Wochen die totale Pleite. Denn in dieser Sitzung des Synodalen Weges haben Menschen vor allem eines beobachtet, dass Wagenburgen aufgebaut werden und verdeckte Kommunikation, Rechthaberei sowie Feigheit das Erscheinungsbild prägen.
Ich erlebe, wie unsere treusten Kirchgänger sich distanzieren und enttäuscht sind. Viele halten nur noch die guten Erfahrungen mit SeelsorgerInnen und anderen Gläubigen in ihrer Ortskirche. „Diese Rechthaberei ertrage ich nicht mehr, es verletzt mich. Es ist höllisch, was da geschieht“. So ein jüngerer „Noch“-Katholik. Diese Situation schreit nach einem Umdenken, nach einer Bekehrung.
Das Dilemma der Kirche
Ausgerechnet an dem Text „Leben in gelingenden Beziehungen“ also, in dem es um das Zusammenleben der Menschen geht, zeigt sich das Dilemma unserer zerstrittenen und noch dialogunterentwickelten Kirche. Als Mensch, als Gläubiger, als Priester ist mir persönlich folgendes für mein Leben wichtig geworden:
Erstens: Ich darf und soll meine Überzeugungen ins Spiel bringen, darüber sprechen und diskutieren. Leidenschaftliches Streiten ist wichtig, denn es geht um gelingendes Leben. Doch wehe mir, wenn ich meinem Gesprächspartner abstreite, dass er es weniger ernst meint. Ein konstruktiver Gesprächsprozess verlangt, dass jeder und jede der anderen Seite lautere Motive unterstellt. Gerade im kirchlichen Kontext dürfen wir glauben, dass durch die Frau, den Mann, den jungen Menschen im Gremium der Geist Gottes uns etwas sagen will. Und bleiben wir ehrlich: dies ist oft auch etwas, was mir nicht schmeckt und mich hinterfragen kann.
Ich benötige also in so einem synodalen Prozess die Bereitschaft, mich zu bewegen und meine eigenen Ängste und Befürchtungen zu sehen und anzuschauen. Viele meiner Ängste sind aus meiner Lebensgeschichte heraus zu verstehen. Deshalb ist es gut, die Fähigkeit zu entwickeln, sich nicht so wichtig zu nehmen und anzuerkennen, dass wir immer nur sehr begrenzt und auch subjektiv wahrnehmen können.
Wahrheit hat etwas mit Realität zu tun
Zweitens ist mir wichtig geworden: Viele Aussagen der Kirche zur Moral und zum Zusammenleben der Menschen müssen immer neu in die jeweilige Zeit übersetzt werden. Eine einseitige Begründung aus der Tradition ist im wahrsten Sinne des Wortes „frag-würdig“ und ich wage es zu sagen: Jesus-fremd. Es gibt sehr gute, mehr biblisch begründete Auffassungen, die ich zumindest hören sollte. Erkenntnisse der modernen Humanwissenschaften sind zu berücksichtigen und neu zu bewerten. Ansonsten verkommt die Lehre der Kirche zur Ideologie. Wahrheit hat immer auch etwas mit der Realität, den Menschen und einem objektiven Erkennen zu tun. Sonst trifft es zu, was viele Menschen uns vorwerfen: „Kirche kultiviert die Lüge“.
Langer Weg zum Lernen, was Dialog ist
Ich persönlich hoffe, dass die Kapriolen um und auf dem Synodalen Weg nur Anfangserscheinungen eines langen Weges sind, auf dem wir als Kirche den Dialog erlernen. Sonst ist es vorbei. Die Zukunft dieser Welt braucht Menschen, die demütig, ehrlich und lernbereit aufeinander zugehen, voneinander lernen, die verschiedenen Lebensrealitäten achten und vorurteilsfrei einander begegnen. Dieses Zeugnis wird von uns Christen, von der Kirche erwartet. Das Evangelium nährt und fundiert diesen Weg und die Zusage des Herrn, „Ich bin bei Euch“ ermutigt uns weiter zu gehen und weiter zu ringen.
Foto: Joerg Sabel Adobe Stock
Über den Autor/ die Autorin
Pater Michael Pfenning SAC
Pater Michael Pfenning SAC (geb. 1959 in Spaichingen) trat nach einer Krankenpfleger-Ausbildung 1980 der Gemeinschaft der Pallottiner bei und studierte Theologie. Von 2013 bis 2022 war er Vizeprovinzial der Pallottiner.
Applaus zu dieser ebenso solidarischen wie schonungslosen Bestandsaufnahme, die wohl den Kern des Problems trifft. Solche Stimmen sollte man viel öfter hören. Denn „sonst ist es vorbei“, wie Sie richtig sagen. Und dafür braucht es wahrlich keinen Propheten: für viele viele Menschen ist es bereits vorbei, und welche falsche oder irrige Einschätzung könnte man ihnen vorhalten?
Dennoch benehmen wir uns in der persönlichen Konsequenz viel zu oft so, als gehe es hier nur um eine vorübergehende Stimmungsschwankung im trägen Kirchenvolk.
Besten Dank und herzliche Grüße!