„Ja, is denn scho 5.0 ?“ - Die Taktung lebensverändernder Umwälzungen ist erschreckend
In einem Artikel auf Zeit Online am vergangenen Wochenende stand über die kürzlich stattgefundene CEBIT 2017 – der weltweit größten Messe für Informationstechnik – zu lesen, dass das diesjährige Partnerland Japan eine Entwicklung in Richtung „Society 5.0“ anstrebt, die im Wesentlichen aus einer letztlich vollständigen Vernetzung sämtlicher Lebensbereiche durch deren Robotisierung besteht. Dies mag im Hinblick auf die erheblichen japanischen demographischen Probleme nachvollziehbar sein.
Nichtsdestotrotz muss man – denke ich – kein übertriebener Kulturpessimist sein, wenn man allein schon die Ankündigung für die nächstjährige CEBIT: „Neue Technologien, wie Künstliche Intelligenz, humanoide Roboter oder Anwendungen der Virtuellen Realität, verschieben die Grenzen zwischen Mensch und Technologie.“ als eher bedrohlich, denn potenziell bereichernd empfindet. Zumindest enge ethisch-rechtliche Grenzen werden hier jedenfalls noch abzustecken sein. Das hierzu aber nur am Rande.
Mein Hauptaugenmerk jedoch richtete sich schon allein auf die Bezeichnung „5.0“. Haben wir nicht gerade erst gelernt, dass nunmehr alles 4.0 sein muss?
Hierzu zunächst vielleicht erst eine kurze Erläuterung dieser kryptisch anmutenden Kürzel für diejenigen, die etwas weniger mit der – zumindest selbsternannten – innovativen, zukunftsträchtigen, oder um es mit dem neudeutschen Begriff schlechthin zu sagen: hippen Welt zu tun haben (wollen):
„4.0“ muss alles sein seit die deutsche Bundesregierung das Programm „Industrie 4.0“ ausgerufen hat. Mithin ist schon einmal festzuhalten, dass die Bezeichnung „4.0“ eine deutsche Erfindung ist und die dauerhaft suggerierte Internationalität der digitalisierten Welt nicht zwingend widerspiegelt, wenn sie auch offensichtlich in der Zählung der Innovationen von Japan übernommen wurde. Die Bezeichnung „4.0“ selbst spielt an eine – hier zweifelsohne selbsternannte oder zumindest selbstdefinierte – vierte Revolution des Arbeitslebens. Die ersten Drei waren verkürzt gesagt:
- Die Erfindung der Dampfmaschine, beginnend ab ca. der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts,
- Die Elektrifizierung und Einführung der Fließbandproduktion ab ca. 1900 und
- Die Erfindung des Computers mit einhergehender Digitalisierung ab ca. den 1970er Jahren.
Die in Deutschland sogenannte vierte industrielle Revolution, die eigentlicher eher ein zweiter Teil der Dritten ist, soll zum Ziel haben, dass die Digitalisierung auch industrielle Prozesse durchdringt, auch bezeichnet als „Internet der Dinge“.
Die Bezeichnung 5.0 – nun eine japanische Erfindung – „verspricht“ auch ausweislich des CEBIT-Mottos 2018 eine – man mag es kaum aussprechen – Verschiebung der Grenzen zwischen Mensch und Technologie.
Unabhängig jedoch von der inhaltlichen „Vision“ (oder sollte man analog dem auch immer moderner werdenden Begriffspaar „Utopie“ und „Dystopie“ eher von einer „Dysvision“ sprechen?) erschreckt allein die zeitliche Taktung von – ihrer Versprechung nach –lebensverändernden Umwälzungen.
Vergegenwärtigt man sich die Zeiträume, die zwischen den jeweiligen Revolutionen lagen, fällt auf, dass diese deutlich kürzer werden. So lagen zwischen 1. Industrieller Revolution und 2. Industrieller Revolution ca. 150 Jahre oder ca. zwei Generationen und zwischen 2. und 3. Industrieller Revolution ca. 70 Jahre oder ca. eine Generation. Zwischen Dritter und selbsternannten Vierter wären es nur noch ca. 40 Jahre. Die „Fünfte“ wurde nunmehr praktischerweise nahezu zeitgleich mit der Vierten ausgerufen.
Diese immer enger werdenden Zeiträume und die damit verbundene immer größere „Veränderungsmenge“ in immer kürzerer Zeit erinnern an das ebenfalls aus der Computerwelt bekannt gewordene Moore´sche Gesetz, wonach sich die Leistungsfähigkeit von Computern innerhalb von zwei Jahren immer verdoppelt mit der logischen Konsequenz der exponentiellen Steigerung derselben.
Die gesellschaftliche, volkswirtschaftlich und letztlich philosophische Frage jedoch, die hinter diesen Entwicklungen stehen, die ja auch alle – nolens volens – jeden Einzelnen betreffen, wird sein, wie lange jeder Einzelne bzw. die Gesellschaft bereit bzw. in der Lage ist, mit dieser Veränderungsgeschwindigkeit Schritt zu halten. Hatte die Menschheit zwei Generationen Zeit, sich an Dampfmaschine und Industrialisierung und immerhin noch eine um sich an Elektrifizierung und Fließbandproduktion zu gewöhnen, so war die Computerisierung/Digitalisierung immerhin – Stand heute – grob schon in nur etwa einer halben Generation zu bewältigen. Und dieser rein lineare Gedankengang blendet noch vollständig aus, dass es Regionen auf der Erde gibt, die von diesen Entwicklungen abgekoppelt waren und sie in noch kürzerer Zeit „nachholen“ müssen.
An dem Punkt, an dem die Bereitschaft oder Fähigkeit der immer zunehmenden Veränderungsmenge pro immer kürzerer Veränderungszeit – analog dem Moor`schen Gesetz – Folge zu leisten endet, entsteht hier aber im Gegensatz zu einem rein technischen, rechnerischen Effekt – bei dessen Zusammenbrechen der exponentiellen Steigerung nur technische Konsequenzen einträten – die Gefahr dass der Zusammenhalt ganzer Gesellschaften vor eine (weitere) schwere Prüfung gestellt wird. Gesellschaften und letztlich das einzelne Individuum sind eben nicht wissenschaftlich und gar exponentiell ausoptimierbar. Die Diskrepanz zwischen „Antreibern“ oder zumindest „Mithaltern“ dieser immer schnelleren Innovationssprünge einerseits und Abgehängten oder Verweigerern andererseits wird mithin kontinuierlich steigen.
Gerne würde man sich hier wohl an der Hoffnung halten, dass die Suppe heißer gekocht, als gegessen werde. Es besteht aber die Gefahr, dass sich diese Hoffnung als genauso trügerisch erweist, wie der Ausspruchs Wilhelms II., dass das Automobil eine vorübergehende Erscheinung sei und er an das Pferd glaube.
Über den Autor/ die Autorin
Dr. Roland Weis
Dr. Roland Weis (geb. 1977 in Friedberg) hat in Augsburg Rechtswissenschaften studiert und dort auch promoviert. Er ist Justitiar der Pallottiner – Körperschaft des öffentlichen Rechts. Weitere Informationen auf der Website der Pallottiner.
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