Menschenskind Gottes Kind aus: das zeichen Pallottiner Nr. 07 und 08 2018

Menschenskind – Gottes Kind

„Menschenskind! Sieh halt genau hin! Kind Gottes, du bist nicht bei der Sache.“ – Für einen Moment ärgere ich mich nicht nur über die offensichtliche Unaufmerksamkeit meiner Schülerin; überhaupt ist die ganze Reli-Klasse heute schlecht drauf. Ich ärgere mich auch über mich selbst, dass ich nicht professioneller mit der Situation umgehe, mehr Geduld habe und die miese Stimmung auf mich abfärben lasse. Später im Lehrerzimmer erfahre ich: Eine Mathe-Arbeit ist gründlich danebengegangen, es hat Fünfen und Sechsen gehagelt. Ich hätte die Klasse nicht so rannehmen dürfen…

Beim abendlichen Tagesrückblick fällt mir die Situation noch einmal ein. Mir geht auf: „Menschenskind, Kind Gottes!“ sollte doch eigentlich ein Mutmacher sein und nicht Auftakt zum Unmut. Denn mit den Augen des Glaubens betrachtet bergen diese drei Worte das Schönste, was über einen Menschen gesagt werden kann.

„Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie.“ (Genesis 1, 27)

Der Mensch, jedes Menschenkind, ist Gottes Ebenbild, geschaffen aus Liebe und zur Liebe, sagt der christliche Glaube. Darin liegen Würde und Freiheit des Menschen begründet. Die Gottesbildlichkeit des Menschen verbindet – christlich betrachtet – alle Menschen miteinander, gleich welcher Nationalität, Kultur, Religion oder Weltanschauung sie angehören. Diese Würde ist keine Verfügungsmasse in den Händen von wem auch immer. Sie verweist darauf: Der Mensch hat sich nicht selbst erschaffen. Sein Leben ist unverfügbar und kommt aus anderen, aus Gottes Händen. Er ist der Ursprung, die Mitte und das Ziel des Lebens. Deshalb ist keines Menschen Leben „illegal“. Deshalb macht es Sinn, mit dem Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes darauf zu bestehen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
Auf die schöpferische Liebe Gottes im Lieben zu antworten – darin entdeckt Vinzenz Pallotti bereits den Anfang dessen, was „Apostolat“ genannt wird, das Gesandt-Sein des Menschen, aus Gottes Liebe und auf sie hin zu leben.

„Seht, welche Liebe uns der Vater geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes und wir sind es.“ (vgl. 1. Johannesbrief 3, 1)

Durch den Glauben an Jesus Christus und durch die Taufe werden Menschen zu Christen. Sie sind „Kinder Gottes“ geworden. Zur Menschenwürde kommt die Würde der Gotteskindschaft. Getaufte sind in die Tiefe des Lebens des dreifaltigen Gottes hineingetaucht und gleichsam ein zweites Mal – aus Gott – geboren.

„Allen aber, die ihn (d. h. Jesus, das Wort Gottes) aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind.“ (Johannesevangelium 1, 12+13)

Wer Christ wird, gehört zur „neuen Schöpfung in Christus“ (vgl. 2. Korintherbrief 5, 17), zum Gottesvolk des Neuen Bundes, zur Gemeinschaft der Kirche. Deshalb ist es etwas sehr Tiefsinniges und Schönes, wenn die zum Gottesdienst versammelten Christgläubigen z. B. mit „Schwestern und Brüder in Christus“ angesprochen werden und nicht einfach mit „Liebe Gemeinde“…

Die Würde der Gotteskindschaft leben heißt nicht, dass Christen „Übermenschen“ seien und die Nichtgetauften minderwertig oder gar gottlos. Gott liebt jedes seiner Geschöpfe und Menschenkinder. Getaufte Gotteskinder dürfen sich in einer besonderen Beziehung zu Gott wissen und sind berufen, diese im Glauben, Hoffen und Lieben zu gestalten. Christen bekennen und nennen Gott als den Vater und Schöpfer der Welt; Jesus, den Christus, den Sohn Gottes und Erlöser der Welt als Bruder und Herrn; den Heiligen Geist als persönliche Lebens- und Liebeskraft Gottes.

„Menschenskind! Sieh halt genau hin!“ – Was mir damals angesichts meiner müden Schüler entfuhr, nehme ich heute als Appell an mich selbst und alle, die getauft sind: „Menschenskind, sieh genau hin! – Gotteskind, sei bei der Sache!“
Was könnte das heißen? Aus der Tiefe der Taufe leben – Gottes Liebe als mein Lebenselement verstehen – die Beziehung zum drei-einigen Gott mein Leben prägen und bestimmen lassen – Antwort geben auf die schöpferische Liebe Gottes, der ich mich verdanke; oder, wie es im 5. Jahrhundert Papst Leo der Große bei einer Weihnachtspredigt ausrief: „Christ, erkenne deine Würde! Lebe nicht unter deiner Würde…“

Der aktuelle Artikel „Menschenskind Gottes Kind“ erscheint in der Sommerausgabe des Pallottiner-Magazins das zeichen Heft 08/2018
Danke für die Abdruckgenehmigung!

Über den Autor/ die Autorin

Pater Sascha-Philipp Geißler SAC

Pater Sascha-Philipp Geißler SAC ist Wallfahrtsdirektor der Barockkirche Herrgottsruh im bayerischen Friedberg und gehört mit seinen Mitbrüdern zur Örtlichen Kommunität des Provinzialates. Als stellvertretender Chefredakteur publiziert er in der Monatszeitschrift der Pallottiner „das zeichen“ und ist Herausgeber mehrerer Bücher im Pallotti Verlag Friedberg.