„Herr, ich will keine Heilige sein.
Mit ihnen lebt es sich so schwer. Aber ein Griesgram ist nun auch nicht das Richtige. Deshalb bitte ich um Gelassenheit“ betete Teresa von Avila.
Vermutlich hatte sie keine guten Erfahrungen mit jenen gemacht, die als Heilige galten oder sich dafür hielten.
Nach Paulus ist jeder heilig, der sich taufen lässt: Er gehört Gott. Mitsamt seinen Sünden. Also feiern wir am Fest aller Heiligen zugleich das Fest aller anonymen Menschen, die bei Gott einen guten Namen haben.
Den müssen sie bei den Menschen nicht gehabt haben; denn wer sich für heilig hält, ist es schon nicht. Der wahre Heilige weiß nichts von seiner Heiligkeit. Im Gegenteil: Er hat stets das Unbehagen, keiner zu sein und strengt sich vielleicht an, einer zu werden.
Sollten Sie, lieber Leser, also das Gefühl haben, kein Heiliger zu sein, muss das nicht heißen, dass sie einer sind. Gell.
Für mich waren als Kind die Heiligen immer so weit weg. In ihren Biografien kam ich nie vor mit meinen Nöten und Sünden. Erst als ich erfuhr, dass auch der verrückte Filipo Neri und die bodenständige Nonne von Avila mit ihren frechen Antworten heilig waren, sah ich für mich gewisse Chancen. Die gingen aber spätestens mit dem Studium der Theologie und Psychologie wieder flöten.
Heute weiß ich, dass man nicht Großartiges machen muss, sondern das Kleine artig. Das ist viel schwerer als Wallfahrten machen und Gott mit Opfern bestechen.
Heute beginnt der Rest unseres Lebens. Schon mal Bilanz gezogen? Wenn sie nicht gut ausfällt, keine Angst: Bei Gott ist der Erfolg kein Name. Nur die Mühe. Deshalb gilt auf dem Weg zur Heiligkeit die Einsicht: Zuerst müh-, und dann –selig. Gelingt nicht immer, aber immer öfter.
Foto: ANTONIO AYUSO Adobe Stock (Statue der Hl. Teresa in der Kathedrale von Christus dem Erlöser in Avila, in Kastilien und León, Spanien)
Über den Autor/ die Autorin
Pater Dr. Jörg Müller SAC
Pater Dr. Jörg Müller SAC stammt von Bernkastel-Kues an der Mosel (geb 1943). Er durchlitt die Schulzeit, ist zweimal sitzengeblieben, und hat sich dann in den Studien der Theologie , Philosophie und Pädagogik (Trier, Innsbruck), Psychologie und Pathologie (Salzburg) davon erholt. Er war Lehrer an verschiedenen Schulen in Trier, Salzburg, Tamsweg und Saarburg, dann Psychotherapeut mit eigener Praxis, bis ihn der Frust packte und er in Tunesien eine T-Shirt-Fabrik baute. Vom Partner betrogen, kehrte er zurück nach Deutschland und trat in die Gemeinschaft der Pallottiner ein. Das war 1989 am Tag des Mauerfalls. Im Pallotti Haus Freising gründete er die Heilende Gemeinschaft, eine stationäre, therapeutische Einrichtung für Menschen in seelischer Not. Inzwischen hat er über 60 Bücher geschrieben und 4 Lied-Cassetten herausgebracht; er ist unter anderem auch als Kabarettist unterwegs.
Zu Pater Jörg Müllers Artikel „Herr, ich will keine Heilige sein“
Menschliche Heiligkeit als Lebensziel halte ich für eine heillose Überforderung, die für den Einzelnen ein Leben mit inneren Nöten bedeuten kann.Ich erinnere an den Begriff „Selbstkonzept“ oder „Selbstbild“. Da besteht die Gefahr, vereinfacht formuliert, der spannungsreichen Diskrepanz zwischen einem konstruierten „Ideal-Ich“ und einem nicht akzeptierten „Ideal-Ich“. So ist es auch für mich nicht erstrebenswert „Heilig“ zu werden, sondern nur der zu sein, der ich bin. Katholische Prägung in früheren Zeit, konnte auch bedeuten, niemals die Deckungsgleichheit zu einer Heiligen-Vorstellung der eigenen Persönlichkeit erreichen zu können.Mensch sein bedeutet doch einfach zunächst Selbstakzeptanz, die nicht ständig mit einer Selbstherabsetzung einhergeht. Sondern einen Weg zur Selbstannahme weist. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, kann ja bedeuten, die eigene Person mögen zu lernen. auch bedeuten Die Unvollkommenheit gelassen integrieren zu können. Kein falsches Zeugnis über sich selbst abzugeben. Sich nicht hinter einer Rolle zu verstecken. Was geschieht, wenn der Heilige und die Heilige unter soziologischen Aspekten betrachtet werden? Dann sehen wir uns zuerst einem gewaltigen Narrativ gegenüber. Ich finde es bedenklich, wenn innerhalb der Kirche die Heiligen auf ihren Podesten bleiben und der Mensch in seiner Selbstannahme zu kurz kommt. Heilig für mich bedeutet sich selbst und andere in ihrem So-Sein annehmen zu können! Wichtiger als die Orientierung an die Gemeinschaft der Heiligen ist aus meiner Sicht die Orientierung an uns Menschen mit allen leuchtenden und düsteren Aspekten. Dazu gehört auch, dass der individuelle Glaube nicht normiert werden kann. Mein Leben jedenfalls ist gefüllt mit menschlichen Begegnungen, in denen die jeweiligen Stärken und Schwächen sein durften! Vielleicht ist eine grundlegende Toleranz in der Begegnungskultur, etwas „Heiliges! Zusammengefasst: Herr, auch ich möchte nicht heilig werden!