Bleiben oder gehen
In diesen Tagen wurden von der Deutschen Bischofskonferenz die Zahlen für die katholische Kirche in Deutschland für das Jahr 2021 vorgelegt. Die Statistik weist bei einer Bevölkerung von rund 83 Millionen Menschen 21, 6 Millionen Katholiken aus. Die Katholische Kirche ist noch etwas größer als die evangelische, insgesamt aber gehören zum ersten Mal weniger als 50% der Bevölkerung einer der der beiden großen christlichen Konfessionen an. Nur noch 4,3 % der katholischen Kirchenmitglieder besuchten 2021 am Sonntag einen Gottesdienst.
Viele, denen das Christentum ein Dorn im Auge ist, reiben sich voll Häme die Hände, nicht wenige treten nach. Zu sehr haben sie gelitten unter dem hohen moralischen Anspruch einer Kirche, die ihrer Berufung nach heilig ist, aber leider immer auch Kirche der Sünder. Dieser moralische Anspruch hat sich als doppelzüngig erwiesen. Mit den geweihten Amtsträgern sind alle Christen Glieder des Volkes Gottes und gehören, wie es in der Taufe heißt, für immer Christus an, der gesalbt ist zum Priester, König und Propheten in Ewigkeit. Diese Berufung gilt in besonderem Maße für die, die die Priesterweihe empfangen haben. Umso schlimmer ist es, wenn gerade sie schuldig werden und sich über Grenzen hinweg setzen. Missbrauch von geistlicher Macht und sexueller Missbrauch, besonders von Schutzbefohlenen darf es nicht geben. Zu lange stand in der Kirche nicht der Schutz der Opfer im Vordergrund, sondern der Schutz der Täter und der (vermeintlich) gute Ruf der Kirche. Doch auch Menschen, die schuldig geworden sind, sind lebendige Abbilder Gottes, selbst wenn durch sie das Abbild Gottes sehr verzerrt wird. Die Würde des Menschen ist jedem Menschen gegeben und unantastbar, auch wenn versucht wird, Menschen dieser Würde zu berauben. Dass Menschen anderen diese Würde nicht nehmen können, kann Kraft geben vor allem denen geben, die zu Opfern gemacht werden. Das ist aber auch Hoffnung und Lichtblick für die, die sich in Schuld verstrickt haben und zu Tätern geworden sind, oder des Missbrauchs verdächtigt oder angeklagt werden. Es lässt betroffen und sprachlos zurück, wenn Opfer für ihr Leben lang gezeichnet sind. Es lässt aber auch betroffen und sprachlos zurück, wenn Männer unter Generalverdacht stehen oder sich Beschuldigungen als Fehlalarm erweisen. Betroffen und sprachlos macht es, wenn der übergriffigen Verhaltens in der Vergangenheit beschuldigte Regens des Limburger Priesterseminars offenbar keinen anderen Ausweg mehr sah, als sich das Leben zu nehmen. Mit seinen offenen Worten, vor allem in einer Predigt zum Erntedankfest 2020, in der er mutig für Reformen in der Kirche eintrat, wurde er für viele zu einem Hoffnungsträger.
Am 29. Juni begehen Christen das Fest der beiden größten Apostel Petrus und Paulus. Mit ihnen feiern sie recht unterschiedliche Charaktere, die in der Kirche ihren Platz haben. Um diesen Tag herum wird in der katholischen Kirche die Priester- und Diakonenweihe gespendet. Menschen stellen sich in dieser Kirche, so wie sie ist, ganz in den Dienst des Evangeliums, das uns gegeben ist, um Menschen Mut und Hoffnung zu schenken und ihnen zu helfen, aufrecht und gerade durchs Leben zu gehen. Es sind Menschen unterschiedlichen Charakters, wie Petrus und Paulus. Daher gibt es unterschiedliche Auffassungen, auch unter Priestern.
Bleiben oder gehen? Viele können oder wollen nicht mehr in dieser Kirche bleiben, die zur Heiligkeit berufen, aber so voller Sünde ist. Es ist zu hoffen, dass sie sich nicht von Gott verabschieden und von der biblischen Botschaft. Wenige bleiben. Sie leiden mit und an der Kirche, in der Schuld und Versagen so groß geworden sind. Aber sie wollen nicht gehen. Sie können es nicht. Herr, zu wem sollen wir gehen, du hast Worte des ewigen Lebens. Dein Wort ist in der Kirche durch die, die sich Christen nennen, durch die Jahrhunderte hindurch bezeugt und weiter getragen worden, vor allem auch durch Priester. So hat es auch mich erreicht und ich bin froh und dankbar dafür. Darum Danke für alle, die nicht gehen, sondern blieben. Danke für alle, die nicht austreten, sondern auftreten. Danke für die, die sich auch heute mit der Kirche in Dienst nehmen lassen von Gott für die Menschen, vor allem auch als Priester.
Bild: borispain69 adobe stock
Über den Autor/ die Autorin
Pater Heinz-Willi Rivert SAC
Geboren 1960 in Rheinbach bei Bonn. Katholischer Priester in der Gemeinschaft der Pallottiner, Diplom in Theologie und in Psychologie. Ehemals in der Jugend-, Pfarr-, Schul- und Hochschulseelsorge tätig, kurz nach der Wende von 1989 auch für drei Jahre im Bistum Erfurt. Seit 2020 lebt er im Missionshaus der Pallottiner in Limburg/Lahn. Er ist tätig in der Seelsorge, in religiöser Erwachsenenbildung und in der freien Mitarbeit bei verschiedenen Publikationen.
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