
Grenzen setzen – Mauern überwinden
Grenzen
Eltern und Erzieher wissen, wie wichtig es ist, Kindern und Jugendlichen Grenzen zu setzen. Sie wissen aber auch, dass Grenzen niemals zu Mauern werden dürfen, die kaum noch zu überwinden sind. Wichtig ist, einen Zugang zueinander zu behalten. Deutschland durchzog eine Grenze als Folge der Irrungen des Nationalsozialismus und der Zerstörungen des 2. Weltkrieges. Diese Grenze teilte Deutschland in einen Westteil, die ehemalige BRD mit der Insel Westberlin inmitten der DDR und in einen Ostteil, die ehemalige DDR mit Ostberlin oder Berlin Hauptstadt der DDR. Die innerdeutsche Grenze und die Berliner Mauer waren absolut abgesichert. Wer sie zu überwinden suchte, musste damit rechnen, bei diesem Versuch zu Tode zu kommen.
Die Mauer fällt
Viele werden sich noch erinnern an den 9. November 1989, an den Tag, an dem in Berlin die Mauer, die die Stadt trennte, fiel und mit ihr die innerdeutsche Grenze. Menschen von Ost und West lagen sich jubelnd und manchmal auch mit Freudentränen in den Augen in den Armen. Deutschland wurde ein wiedervereinigtes Land. Etwas mehr als 35 Jahre später durften die Deutschen 2025 wieder einmal einen Bundestag wählen. Wenn man das Ergebnis der Wahlpräferenzen auf einer Landkarte von Deutschland in den Farben der bevorzugt gewählten und damit siegreichen Parteien einfärbt, dann zeigt sich das Bild vom ehemaligen Osten und vom ehemaligen Westen unseres Landes. In den alten Bundesländern, der ehemaligen BRD, herrscht hauptsächlich die Farbe Schwarz vor, in den neuen Bundesländern, also der ehemaligen DDR, die Farbe Blau mit wenigen andersfarbigen Einsprengseln. Sie besteht also noch, die Teilung Deutschlands in Ost und West. Die Mauer in den Köpfen wird im Wahlverhalten sichtbar. Die schwarz-blaue Republik titelt die Zeitung Die Welt.
Schwarz-blaue Republik
Was hilft zu verstehen und was hilft Brücken zu bauen in der schwarz-blauen Republik. Die Menschen in Mitteldeutschland, der ehemaligen DDR, mussten wie in Westdeutschland den Terror der Nationalsozialisten ertragen. Als Folge des 2. Weltkriegs wurde Deutschland geteilt. In der sowjetischen Besatzungszone wurde eine kommunistische Diktatur unter Führung der SED errichtet. Die DDR wurde ein eigenständiger Staat als Antwort auf die Gründung der ehemaligen BRD. Die Menschen wurden gleichgeschaltet und die Meinungsfreiheit eingeschränkt. Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften wurden zwangsweise eingerichtet, Menschen enteignet. Volkseigene Betriebe wurden gegründet. Hinzu kam eine ständige Überwachung der Menschen durch die Stasi. Eine erneute Demütigung für viele und wieder Unfreiheit. Städte und ihre Bausubstanz verkamen. Allerdings lernten die Menschen unter dem Druck der Verhältnisse zusammenzustehen und einander zu helfen. 1989 gingen sie unter Gefahr für Leib und Leben auf die Straße. „Wir sind das Volk“, wurde skandiert, später: „Wir sind ein Volk“. Dann kam die Wiedervereinigung. Die Westdeutschen schauten bis auf wenige Ausnahmen auf die im Osten oft überheblich und besserwisserisch herab.
Voneinander lernen – miteinander leben
Die Deutschen taten sich viel zu lange viel zu schwer, die 40 Jahre gelebten Lebens in der ehemaligen DDR zu sehen und zu würdigen. Die Rede vom Besserwessi und Jammerossi machte die Runde. Leider ist das vielfach bis heute noch so. Bis heute fühlen sich die Menschen im Osten unserer Republik als Menschen 2. Klasse und viele Westdeutsche vermögen kaum zu sehen, dass auch der Westen vom Osten lernen kann. Improvisieren zum Beispiel und füreinander da sein oder die gemeinsame Nutzung teurer medizinischer Geräte von mehreren Arztpraxen etwa in Medizinischen Gesundheitszentren. Christen können lernen, als Minderheit unter einer Mehrheit zu leben, der Gott fremd geworden ist. Ein biblisch begründeter Gottesglaube kann helfen, allen Sinn und Orientierung geben. Eine Rückbindung an das Evangelium kann dazu beitragen, dass Menschen nicht verrohen und ohne Erbarmen mit den je Schwächeren ihren eigenen Vorteil durchsetzen. Die Bergpredigt der Bibel ist weltweit als Weltliteratur bekannt und als hoher ethischer Maßstab allgemein anerkannt. Aber niemand muss glauben, um ein guter Mensch sein zu können. Dafür gibt es vor allem im Pflegepersonal der Krankenhäuser viele gute Beispiele. Ich selbst durfte als Wessi kurz nach der Wende Anfang der 1990iger Jahre in Thüringen leben und arbeiten. Leider war es mir nicht vergönnt, noch einmal nach Mitteldeutschland oder Berlin zurückzukehren. Ich hoffe und glaube aber fest daran, dass die schwarz-blaue Republik überwunden werden kann in ein frohes, buntes, geeintes Deutschland, in dem die Menschen zusammenhalten, frei ihre Meinung sagen und ihre Überzeugung leben können. Ein Deutschland, in dem die Würde eines jeden Menschen geachtet wird, unabhängig von Hautfarbe, Herkunft und Migrationshintergrund. Denn jeder Mensch ist wertvoll und zunächst einmal gut. Jeder Mensch kann mit seinen Fähigkeiten und Begabungen dazu beitragen, dass alle gemeinsam gut leben können und Wertschätzung erfahren.
Beitragsbild Bückenbauen: „Alte Lahnbrücke und Limburger Dom“ von mojolo über adobe stock
Über den Autor/ die Autorin

Pater Heinz-Willi Rivert SAC
Geboren 1960 in Rheinbach bei Bonn. Katholischer Priester in der Gemeinschaft der Pallottiner, Diplom in Theologie und in Psychologie. Ehemals in der Jugend-, Pfarr-, Schul- und Hochschulseelsorge tätig, kurz nach der Wende von 1989 auch für drei Jahre im Bistum Erfurt. Seit 2020 lebt er im Missionshaus der Pallottiner in Limburg/Lahn. Er ist tätig in der Seelsorge, in religiöser Erwachsenenbildung und in der freien Mitarbeit bei verschiedenen Publikationen.
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