Versöhnung durch Winnetou

Karl May kleidete das Christentum ins Gewand der Indianer

Jetzt kommt es wieder zum Schwur: Dürfen Kinder oder gar Erwachsene sich im Fasching als Indianer verkleiden? Ich reibe mir bei dieser Frage die Augen. Aber nicht, weil ich wieder Winnetou-Romane bis in die Puppen unter der Bettdecke gelesen habe, sondern weil ich nicht erkennen kann, worüber die Gesellschaft da diskutiert. Wenn sie die Verkleidung als kulturelle Aneignung verurteilt und wenn sie im Gefolge dann auch den Romanschriftsteller Karl May an den Pranger stellt.

Vergangenes Jahr zog ja Ravensburger Verlag deswegen seine Kinderbücher zurück, die den Kinofilm „Der junge Häuptling Winnetou“ flankierten. Begründung: Rassismus soll der Märchenonkel May verbreitet haben. Aber wenn man mal genau hinschaut, dann hat der Sachse eher christliche Idealbilder mit Federschmuck und Mokassins bekleidet durch die deutschen Wohnzimmer geschickt. Wollen wir uns das nicht mal genauer ansehen?

Kitschig, stereotyp und christlich

Viele kennen die Szenen noch aus den Filmen mit Pierre Brice und Lex Barker: Unter sanften, in die Höhe ansteigenden Geigenklängen reiten Old Shatterhand und sein roter Blutsbruder Winnetou über die Prärie. Sie besiegen die Bösen, schonen die Verbrecher, führen verfeindete Indianerstämme wieder zusammen und stiften Frieden, wo sie nur können. Versöhnung, Liebe und Frieden zwischen den Völkern waren Mays Themen. Kitschig? Stereotyp? Ja. Und christlich auch. Denn der Volksautor Karl May verstand sich zeit seines Lebens als Christ.

Mit einer Auflage in Deutschland von geschätzten 100 Millionen Exemplaren hat Karl May über 100 Jahre hinweg seine Geschichten vom Frieden zwischen den Menschen Generationen von Lesern mit auf den Lebensweg gegeben – auch wenn die Zahl der Karl-May-Fans inzwischen im Abnehmen begriffen ist und bei den anderen posthum der Sturm des Entsetzens einsetzt. Es bleibt dabei: Frieden und Versöhnung, um diese Begriffe rankten sich Mays Erzählungen. Zur Reife gelangte diese Friedensbotschaft in einem der späteren Romane „Und Friede auf Erden“ (1904).

Überall sieht May das Ebenbild Gottes

Aus seiner christlichen Prägung macht der Ich-Erzähler, der mal als Old Shatterhand, mal als Kara Ben Nemsi Effendi oder manchmal auch als Charlie (Karl May selbst) auftritt, nie ein Geheimnis. Überall erkennt er im Menschen das Ebenbild Gottes, egal ob im Wilden Westen, im wilden Kurdistan oder in China. Die Botschaft, die in den Abenteuern immer verwirklicht wird: Wo sich die Universaltugend der Liebe zeigt, da zeigt sich auch Gottes Geist.

Jede Geiselnahme und jede Entführung beendet der Westmann Old Shatterhand daher ohne Blutvergießen. Ein Faustschlag an die Schläfe, der den Gegner handlungsunfähig macht, oder ein Schuss ins Knie ist das Höchste an Gewaltanwendung. Wenn Bösewichte sterben, werden sie meist durch eine höhere Gewalt gerichtet. Wo die Liebe ist, da ist Gott und da herrscht Friede. Unter diesem Aspekt hält May es für möglich, Schranken zwischen Völkern, Konfessionen und Religionen zu überwinden.

Gleichwohl hält er das Christentum am meisten dafür geeignet, diesen versöhnenden Ansatz umzusetzen. Daher ist es für May nur folgerichtig, dass der Apachenhäuptling Winnetou kurz vor seinem Tod in dem Band Winnetou III bekennt: „Schar-lieh, ich glaube an den Heiland, Winnetou ist ein Christ. Lebe wohl.“ Darf man das? Ist das kulturelle Aneignung oder einfach nur die schriftstellerischen Mittel eines Künstlers, seine Figuren zu entwickeln? May hat es getan, und man darf das heute auch blöd finden.

Der Glaube Karl Mays

Seinen Glauben formuliert May in einem persönlichen Bekenntnis 1906 so: „Und ich glaube an das Gute im Menschen, an die Kraft der Nächstenliebe, an die Verbrüderung der Nationen, an die Zukunft des Menschengeschlechts.“ In der Gestalt Jesu hat diese Kraft der Liebe – so glaubt Karl May – den Tod durchlitten und ist wiederauferstanden. Und diese Liebe muss daher nun von den Christen in die Welt getragen werden, um alle Religionen miteinander zu versöhnen. Das ist die Botschaft des Roman-Autors Mays, der aber in Bezug auf das Wesen der Welt realistisch bleibt. Denn auch sein Friedenroman klingt mit der Nachricht aus, dass ein Krieg ausgebrochen ist.

 

Bild einer Generative AI von Sunshower Shots (Adobe Stock)

Über den Autor/ die Autorin

Alexander Schweda

Alexander Schweda ist Journalist, Musiker, Theologe und gehört der Vereinigung des Katholischen Apostolats (UAC) an. Er leitet die Öffentlichkeitsarbeit und die Zeitschriften der Pallottiner.