Vom Narren zum Clown - Beitrag von Pater Müller

Von Narren, Tölpeln und Clowns

Am Faschingssonntag, pünktlich zum Start des Karnevalsumzugs in meiner Heimatstadt, erblickte ich das trübe Licht einer kriegszerstörten Welt. Zum Helau- und Alaaf-Ruf war mir nicht zumute. Dennoch hat diese erste Minute mein Leben geprägt: Ich wurde von nun an ein Narr.
Im Kostüm eines Clowns (mit Glatze) oder eines Narren (mit Narrenkappe) trat ich jahrelang in Krankenhäusern und Altenheimen auf, um die Menschen zum Lachen zu bringen. Meistens gelang es mir auch, wenngleich mir selber selten zum Lachen war.

Der Narr ist biblisch
Paulus nennt den Christen einen Toren um Christi willen, sich selbst begreift er als nichts, als einen Toren, der sich des Glaubens rühmen darf. Und wer sich als weise erachtet, sollte zuerst einmal töricht sein; denn vor Gott ist die weltliche Weisheit eine Torheit (1 Kor 3,19).
Tatsächlich erscheint die Lehre Jesu wie eine Narretei: Da soll man dem Feind immer vergeben, dem Dieb zur gestohlenen Jacke auch noch die Hose schenken und sich freuen, wenn man um des Glaubens willen verfolgt wird. Idiotisch oder?
Vielleicht. Aber solches Tun entspringt einer tiefen Weisheit, die verankert ist im Wissen um das gute Ende. Haben nicht alle Narren nach anfänglichem tölpelhaften Auftreten die Arroganz und Dummheit der Welt gespiegelt, überzeichnet und dann überwunden durch eine einfach-geniale Lösung des Problems? Sind die praktischen Regeln christlichen Lebens nicht ebenso einfach und genial?

Der Narr küsst seinen Schatten und gewinnt Im Unterschied zum Clown, der auf der Bühne zu Hause ist und uns zum Lachen bringen soll, lebt der Narr im Alltag der Menschen. Er scheitert zunächst, ist tragisch-komisch; er schockiert uns mit seiner Wahrheit und konfrontiert uns mit unseren eigenen Schwächen und Schatten. Das hat so manchem Hofnarr das Leben gekostet. Doch sein Mut, in der Katastrophe die Lösung zu finden, ist beneidenswert. Dabei outet er unsere heimlichen Gedanken und Sehnsüchte, unsere peinlich gehüteten Fehlverhalten. Viele Kaiser und Könige hielten sich Hofnarren zur Belustigung; doch diese gingen darüber hinaus und hielten den Herrschern den Spiegel vor. So wurde auch Till Eulenspiegel zu einer moralischen Instanz , die die Schwächen des Bürgers aufdeckte. Oder Mulla Nasruddin in der arabischen Welt.

Während der Clown mit Hochgenuss scheitert, weist uns der Narr einen Weg. Er geht gegen die Angst an und entlarvt sie als verlogene Phantasie. So gewinnt er am Ende und führt die Menschen zur Selbsterkenntis, sofern sie seine verschlüsselten Hinweise erkennen können.

Der Narr in Christo
hat in der russisch-orthodoxen Kirche seine Gestalt gefunden im Gottesnarren (so bei Nikolai Leskow: Der Gaukler Pamphalon); in der abendländischen Kirche ist Franz von Assisi zur Figur des für die Welt törichten Narren geworden. Alles scheinbar Unvernünftige und Tragische ist vordergründiges Merkmal dieses Typen. Hintergründig entdeckt man eine große Freiheit, eine authentische Persönlichkeit, die hinter unsere Masken schaut und unsere Ängste entlarvt. Narren haben keine Vorurteile. Selbst der Tod ist für sie keine Katastrophe, sondern Erlösung. Wie sonst konnte Thomas Morus am Schafott noch scherzend seinen Bart nach vorne streichen, damit dieser nicht abgeschnitten wird: „ Der Bart ist unschuldig“ meinte er lakonisch.

Ich war ein Clown, kein Narr
Jahrelang habe ich den Clown gespielt. Es war nicht der Narr, wie ich glaubte. Ich wollte froh stimmen, erheitern. Jetzt im reifen Alter ist es Zeit, zum Narren zu werden., d.h die Menschen zum Nachdenken zu bringen, ihre Ängste zu spiegeln, ihre Masken zu hinterschauen. Als Therapeut gelingt es mir schon ganz gut; als Priester kommt noch die spirituelle Reife hinzu. Ich arbeite dran.

Über den Autor/ die Autorin

Pater Dr. Jörg Müller SAC

Pater Dr. Jörg Müller SAC stammt von Bernkastel-Kues an der Mosel (geb 1943). Er durchlitt die Schulzeit, ist zweimal sitzengeblieben, und hat sich dann in den Studien der Theologie , Philosophie und Pädagogik (Trier, Innsbruck), Psychologie und Pathologie (Salzburg) davon erholt. Er war Lehrer an verschiedenen Schulen in Trier, Salzburg, Tamsweg und Saarburg, dann Psychotherapeut mit eigener Praxis, bis ihn der Frust packte und er in Tunesien eine T-Shirt-Fabrik baute. Vom Partner betrogen,  kehrte er zurück nach Deutschland und trat in die Gemeinschaft der Pallottiner  ein. Das war 1989 am Tag des Mauerfalls. Im Pallotti Haus Freising gründete er die Heilende Gemeinschaft, eine stationäre, therapeutische Einrichtung für Menschen in seelischer Not. Inzwischen hat er über 60 Bücher geschrieben und 4 Lied-Cassetten herausgebracht; er ist unter anderem auch als Kabarettist  unterwegs.