Die Schöpfung hat eine Würde
Die Ureinwohner Amerikas sprachen zu Recht von der Mutter Erde

Warum ist die Rede immer nur vom Menschen, wenn es um Würde geht, die menschliche Würde, die bekanntlich als unverletzlich in der Charta der Menschenrechte verbrieft ist? Kaum einer kommt auf die Idee, dass auch die Schöpflung Würde besitzt.

Leiten wir unsere Rechte vielleicht allzu sehr von der unseligen Formulierung im Alten Testament ab, wir sollten uns die Erde untertan machen? Impliziert das etwa nicht, uns mit gutem Recht als die Herren der Welt aufzuspielen, die herrschen, und sich alles unterwerfen dürfen, weil in ihren Augen alles andere minderwertiger ist als sie selbst? Da hatten uns die indianischen Ureinwohner von Amerika einiges voraus. Sie personifizierten die Natur als „Mutter Erde“. Dementsprechend ehrerbietig war ihr Umgang mit ihr. Dagegen ist unser Umgang mit ihr und die gleichgültige Verschwendung mit ihren Schätzen und Schönheiten ein Beweis dafür, dass es mit der kreatürlichen Liebe zum Leben und zur Schöpfung nicht zum Besten steht.

Der amerikanische Theologe Matthew Fox macht dafür die Tatsache verantwortlich, dass Religion und Wissenschaft seit annähernd 300 Jahren nicht mehr an einem Strang ziehen. Natürlich mussten auch Indianer satt werden, und sich im Winter mit Fellen von erlegten Tieren wärmen. Ihr respektvoller Umgang mit dem, was ihnen die Erde bot, bewirkte, dass sie ihren Bedarf am Notwendigen deckten, aber darüber hinaus weit entfernt waren von einer heute so gängigen Idee der „Gewinnmaximierung“.

Bevor sie ein Tier erlegten und verwerteten, baten Indianer es um Verständnis dafür, dass es einer Notwendigkeit geopfert wurde, um menschliches Überleben zu sichern. Bäume wurden nicht gedankenlos abgeholzt; ihnen wurde zuvor dafür gedankt, dass sie Wärme spendeten und die Nahrungszubereitung ermöglichten.

Kaum, dass das Leben der Ureinwohner nur paradiesisch schön und friedlich gewesen wäre; wo Menschen zusammen sind, menschelt es auch gewaltig. Hier soll nichts schöngeredet oder verklärt werden. Doch bevor den Indianern christliche Werte gebracht wurden, war ihnen vieles heilig, von dem wir heute trotz vieler Erkenntnisse meilenweit entfernt sind. Erst durch eine dubiose Kultivierung, die ihnen nicht ohne Gewaltanwendung aufgenötigt wurde, erlebten sie, wie Ausbeuten und Ausschlachten funktioniert. Dabei geriet völlig aus dem Blick, dass die Menschen nur überleben können, wenn sie im Einklang mit der Schöpfung leben.

Die Corona-Pandemie hat uns die Augen dafür geöffnet, wie verletzlich unsere Existenz und unsere Gesundheit ist, und wieviel verantwortungsvoller als bisher der Umgang mit der Schöpfung, sein muss. Ihre Würde ist von hohem Wert und nicht verhandelbar. Welche Gefahr die Verschmutzung der Luft und der Wässer bedeutet, und wie leicht unser Lebensraum vernichtet werden kann, wenn wir den Raubbau an der Umwelt nicht einstellen.

Wie wir aus der jetzigen Krise hervorgehen, hängt davon ab, wie weit wir bereit sind umzudenken und entdecken, was wirklich wichtig ist. Wenn wir mit der Natur und nicht gegen sie leben, bekommen wir vielleicht noch die Kurve, und das Risiko für weitere Pandemien sowie Hitzeperioden, Dürren, Stürme, Überschwemmungen und Missernten lässt ich hoffentlich noch verhindern.

Was die Erde braucht, sind Menschen, die vom Geist einer kosmischen Spiritualität beseelt sind, wie es die Indianer vor langer Zeit einmal waren, religiöse Menschen, die empfindsam sind für die Würde der Schöpfung.

Große Aktionen kann der Einzelne nicht starten, aber mit vielen kleinen Unternehmungen in seinem Umfeld kann ins Bewusstsein dringen, dass unser Planet nicht länger wie ein kostenloser Selbstbedienungladen ausgeplündert werden darf. Nicht immer sind es die Mächtigen, die etwas bewirken können; wie sich gezeigt hat, können selbst ganz junge Menschen, die nicht bereit sind, die Fehler ihrer Vorfahren fortzusetzen, etwas bewegen.

Die Erde ist schön; es werden auch nach uns noch Menschen auf ihr leben wollen, die ihre Würde respektieren und beherzigen wollen.

 

Foto: ondrejprosicky adobe stock

Über den Autor/ die Autorin

Herma Brandenburger

ist in Mainz geboren, war Schülerin der Englischen Fräulein und hat in Zürich als Redakteurin gearbeitet. Sie hat 14 Jahre in Köln in einem Hörfunkreferat gearbeitet und 30 Jahre lang eigene religiöse Sendungen für fünf Sender geschrieben und gesprochen, Taschenbücher sowie Beiträge in mehreren Zeitschriften und Büchern veröffentlicht. Inzwischen schreibt die Großmutter von sieben Enkeln nur noch für „das zeichen“ der Pallottiner.