Tun, was noch nie jemand getan hat

Meine Kollegin ist Seelsorgerin in einem Krankenhaus. In ihrem Garten steht eine 1,50 m hohe Figur. Es ist ein Abschiedsgeschenk für jahrelanges Wirken in einer Gemeinde: ein Auferstehungs-Engel. Davor stehen Gläser mit Kerzen. Nach Feierabend hat sie sich ein allabendliches Ritual angewöhnt. Sie zündet hier ein Kerzchen an. Hier lässt sie alle Sorgen los, gibt sie ab an ihren Engel. Engel sind Mittler zwischen Himmel und Erde. Gottes Engel ziehen uns „nach oben“. Was zerstört scheint, kann aufgerichtet werden. Denn mit Gott geht es durch alle Tiefen immer nach oben. Manchmal fragt die Seelsorgerin auch Patienten, ob sie eine Kerze für sie entzünden darf. Ein Licht. Im Garten. Am Auferstehungs-Engel. Neulich bekam sie die Antwort:  „Das hat ja noch nie einer für mich gemacht!“

„Das hat ja noch nie einer für mich gemacht!“  Engel sind so. Sie helfen mir zur Erfahrung, trotz vieler Enttäuschungen dennoch in Menschlichkeit zu vertrauen. Der Brief an die Hebräer wird sehr konkret, wenn er uns zur Gastfreundschaft aufruft, „denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt.“ (Hebr 13,2).

Schutz für Geflüchtete kann also bedeuten,  Engel zu beherbergen.  So also sieht die himmlische Perspektive zur Rettung der Welt aus. Auch nach Paris, Köln, Brüssel, Nizza,  München …? Es sind unzählige Tote, die uns in immer neuen erschütternden Bildern erreichen. Es scheint eine Brutalität in unvorstellbarem Ausmaß ohne Grenze zu geben.  Nie habe ich mehr Zugang zum Kreuz von Golgota gefunden als jetzt. Der Ort der Angst, an dem sich jeder billige Trost verbietet. Es ist dennoch Beistand, den ich hier suche und paradoxer Weise vor der Ohnmacht am Kreuz auch fühle.

„Hilfst Du mir jetzt?“ Manchmal kommt es mir so vor, als wenn Jesus diese Frage vom Kreuz aus direkt an mich richtet. An uns als Gemeinschaft. An die Gemeinde. An unseren Kiez. An die Stadt. Ich gestehe mir sofort jede Überforderung ein. Wie sehr bin ich doch auf Barmherzigkeit und Vergebung angewiesen, weil  ich derartig unter meinen Möglichkeiten bleibe! Wie sehr bewundere ich Menschen, die mitten in der Katastrophe die Ruhe nicht verlieren und tatkräftigen Beistand leisten. Mit den Waffen des Lichtes erobern wir die Herzen der Menschen. Mit Bomben, Waffen und neuem Terror, mit Tränengas bis hin zum Schießbefehl vertiefen wir die Spannungen.  Nein. Damit muss endlich Schluss sein. Das tun, was für einen Menschen noch nie jemand sonst getan hat.  Wer so lebt, der zündet viele Lichter am Auferstehungs-Engel an. ((01.08.16))

Über den Autor/ die Autorin

Lissy Eichert

Pastoralreferentin Lissy Eichert wirkt seit Jahren im Projekt „Kirche im Brennpunkt“ der Pfarrei St. Christophorus in Berlin-Neukölln. „Sozial – spirituell – kulturell“ ist das Ziel, mit dem sich das Team der Pfarrei engagiert. Ihr Repertoire reicht vom wöchentlichen „Nachcafé“ für Arme und Obdachlose Menschen bis zu regelmäßigen Auftritten beim „Wort zum Sonntag“. Das Kürzel „UAC“ zeigt Ihre Zugehörigkeit zur „Unio“, einer von Vinzenz Pallotti gegründeten Gemeinschaftaus Geistlichen und „Laien“.