Kinderehen in Deutschland: Kindern ihre Kindheit lassen

Jahrhunderte haben wir in Europa gebraucht, um Kinder Kinder sein zu lassen und sie nicht als kleine oder defizitäre Erwachsene zu betrachten. Es entwickelten sich Kinderrechte. Seit 1989 gibt es die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN). Deutschland hat sie unterzeichnet. Als Kinder  im Sinne dieser Übereinkunft gilt jeder Mensch, der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Unsere Gesellschaft mit ihrer Gesetzgebung fühlt sich dem Wohl des Kindes verpflichtet. Das Wohl des Kindes meint unter anderem die altersgemäße Berücksichtigung seines Willens, seiner Meinungs-, Gewissens- und Religionsfreiheit, Schutz vor Verwahrlosung, Misshandlung und Gewaltanwendung sowie das Recht eines jeden Kindes auf Bildung, Schule und Berufsausbildung.

Malala Yousafzai, die damals erst 17-jährige Friedensnobelpreisträgerin von 2014, ist beredtes Zeugnis für (diese) Kinderrechte, vor allem für das Recht auf Bildung, gerade auch für Mädchen und Frauen. Die Muslima aus dem Swat-Tal in Pakistan wäre um ein Haar von Taliban  erschossen worden. Grund: es sei nicht schicklich für ein Mädchen und eine Muslima, die Schule zu besuchen.

Auch Toleranz hat Grenzen - u.a. beim Thema Kinderehen

In Deutschland gilt aus gutem Grund die Regel, dass eine Ehe nicht vor Eintritt der Volljährigkeit eingegangen werden soll. Das Familiengericht kann auf Antrag von dieser Vorschrift befreien, wenn der Antragsteller das 16. Lebensjahr vollendet hat und sein künftiger Ehegatte volljährig ist. Not, Elend und kulturelle Sitten und Gebräuche lassen in vielen Ländern dieser Erde Ehen mit Minderjährigen zu. Für mich erschreckend war ein Bild in einer Zeitschrift, das einen etwa 40-jährigen Mann mit seiner 11-jährigen „Ehefrau“ zeigte. Meist sind es Mädchen, die mit einem oft deutlich älteren Mann verheiratet werden. In Deutschland sind zur Zeit knapp 1500 ausländische Minderjährige als verheiratet registriert. Kinderehen gelten als der Anfang eines Teufelskreises aus Benachteiligungen, der, in den allermeisten Fällen, Mädchen die grundlegenden Rechte auf Bildung, Entwicklung und Kindsein verwehrt. Aus diesem Grund sollte die Gesetzgebung in unserem Land nicht unterhöhlt werden. Auf ihrer Grundlage muss in jedem Einzelfall geprüft werden, wie man dem Wohl des Minderjährigen am besten gerecht wird. Der Respekt vor anderen Religionen, Kulturen, Sitten und Gebräuchen darf nicht dazu verleiten, zu tolerieren, dass Kinder ihres Kindseins beraubt werden und nicht mehr Kind sein dürfen.

Über den Autor/ die Autorin

Pater Heinz-Willi Rivert SAC

Geboren 1960 in Rheinbach bei Bonn. Katholischer Priester in der Gemeinschaft der Pallottiner, Diplom in Theologie und in Psychologie. Ehemals in der Jugend-, Pfarr-, Schul- und Hochschulseelsorge tätig, kurz nach der Wende von 1989 auch für drei Jahre im Bistum Erfurt. Seit 2020 lebt er im Missionshaus der Pallottiner in Limburg/Lahn. Er ist tätig in der Seelsorge, in religiöser Erwachsenenbildung und in der freien Mitarbeit bei verschiedenen Publikationen.