"Jeder Jurist ist Christi Feind"?

Als Justitiar einer katholischen Ordensgemeinschaft dient man gewissermaßen zwei Herren: Einerseits dem Recht, das die Grundlage des eigenen Berufes darstellt und andererseits dem Glauben, dessen Verbreitung der Arbeitgeber naturgemäß zum Ziel hat. Dies ist für das Berufsbild eines Juristen noch nichts Außergewöhnliches, dienen viele Juristen letztlich doch den (nicht immer juristischen) Interessen ihrer Auftraggeber. Das Verhältnis Recht/Glaube ist jedoch aus mehreren Gründen ambivalent, vertrat doch hierzu nicht zuletzt schon Luther die Meinung:

Omnis iurista est inimicus Christi, quia iactat iustitiam operum

Jeder Jurist ist Christi Feind, weil er die Gerechtigkeit der Werke rühmt“

Mit dem Rühmen der Gerechtigkeit meint Luther eine Gerechtigkeit in einem sehr engen Wortsinn. Sinngemäß wäre mithin in den Satz hineinzulesen: „…weil er nur der Gerechtigkeit der Werke…“. Dem entgegen solle nach Luther jedoch die Gnade gesetzt werden, an Stellen, an welchen eine Frage zwar juristisch eindeutig – vulgo: gerecht –, aber moralisch nur unbefriedigend geregelt werden kann. Dies stellt aber wiederum einen eklatanten Widerspruch zu den uns vertrauten Rechtsstaatprinzipien dar, wonach der Staat in seinem Handeln durch Recht begrenzt wird, sodass eine einheitliche Anwendung auf alle Personen resultieren kann.

Was bedeutet dies nun für einen juristischen Angestellten einer christlichen Einrichtung, wenn man doch einerseits seinen juristischen Ansprüchen gerecht werden und damit nicht zuletzt seine arbeitsvertraglichen Pflichten erfüllen will und andererseits nicht unbedingt ein Feind Christi in vorbenanntem Luther`schem Sinne sein will?

Das bedeutet letztlich: Man muss Luther – zumindest in dieser Aussage – widerlegen (was bei einem katholischen Arbeitgeber wiederum per se einen gewissen Charme hat):

Dem Glauben und dem Recht sind gemeinsam, dass beide Formen des Zusammenlebens regeln wollen: Das Recht das Zusammenleben innerhalb der Gesellschaft, der Glaube zunächst das „Zusammenleben“ zwischen Gott und dem Individuum, was letztlich wieder Auswirkungen auf das Zusammenleben einzelner Individuen haben muss. Hierfür bedienen sich beide einer Normsetzung, die in einem Falle als „Glaubensregeln“, im anderen als „Gesetze“ benannt werden können.

Glaubensseitig:  Im Bereich des Glaubens findet sich bereits in vorchristlichen Zeiten in vielen wesentlichen Zivilisationen eine Grundregel, die als die „Goldene Regel“ bekannt ist, wonach der Einzelne stets so handeln möge, wie er es auch von anderen erwartet, oder negativ formuliert:

Was Du nicht willst, das Dir man tut, das füge auch keinem anderen zu“.

Diese Grundregel floss über den Lauf der Jahrhunderte wiederum zumindest sinngemäß in die Lehre der wichtigsten Religionen ein. Für das Christentum seien hierzu die Bibelstellen Lk 6,31 („Was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen.“) und Mt 7,12 („Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!“) zu nennen.

Auch in der Philosophie erhielt die Regel über die Jahre hinweg Geltung und wurde insbesondere durch Kants kategorischen Imperativ zu einer nicht nur unter einzelnen Individuen geltenden, sondern in Bezug auf die gesamte Gesellschaft erweitert:

Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip
einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne
.“

Auf der u.a. von Kant mit beeinflussten Philosophie der Aufklärung gründen wiederum letztlich die Anfangsformen der heute in der demokratischen Welt gültigen Rechtsordnungen. In diesen ist die Goldene Regel zuallererst in Form des Strafrechts offensichtlich. So bestraft es der Staat, wenn Verbrechen begangen werden, nicht zuletzt deshalb, weil niemand will, selbst Opfer einer solchen Tat zu werden. Es handelt sich mithin auf Seiten des Täters um einen Verstoß gegen die Goldene Regel, wenn er beispielsweise einen Diebstahl begeht, da er mutmaßlich selbst auch nicht bestohlen werden möchte.

Aber auch im Zivilrecht, z.B. in der Form des Kaufrechts sind letztlich konkrete Handlungs-anweisungen niedergelegt, die darauf beruhen, wie der Handelnde selbst behandelt zu werden gedenkt, stünde er auf der anderen Seite des Rechtsgeschäfts. So darf der Käufer eines Autos erwarten, dieses übergeben zu bekommen, während der Verkäufer erwarten darf, den Kaufpreis zu erhalten.

Im Rechtsgebiet des öffentlichen Rechts finden wir Normen, in welchen der Staat sozusagen „zwischengeschaltet“ wird, um den Ausgleich und das Zusammenleben der  Individuen zu regeln. So darf im Baurecht beispielsweise ein Bauherr nur bis zu einer bestimmten Höhe bauen, um seinen Nachbar nicht übermäßig zu beeinträchtigen. Dieser wiederum darf dasselbe von seinen Nachbarn erwarten.

Wir sehen also, dass sowohl im Glauben als auch im Recht Grundgedanken von universeller Natur gegeben sind, die in beiden Bereichen Geltung erlangen und Grundlage von konkreten Handlungsanweisungen sind. Solange sich der Einzelne also so verhält, wie er selbst behandelt werden möchten, hat er sowohl im Glauben als auch im Recht nichts zu befürchten.

Auf dieser Basis sind Recht und Glaube also näher beieinander als Luther glauben machen möchte und der Justitiar der Pallottiner kann wieder beruhigt seiner Arbeit nachgehen. ((24.20.16, Bild: Pixabaay))

Über den Autor/ die Autorin

Dr. Roland Weis

Dr. Roland Weis (geb. 1977 in Friedberg) hat in Augsburg Rechtswissenschaften studiert und dort auch promoviert. Er ist Justitiar der Pallottiner – Körperschaft des öffentlichen Rechts. Weitere Informationen auf der Website der Pallottiner.