Ist Organspende eine Christenpflicht?

„Aus christlicher Sicht ist die Bereitschaft zur Organspende nach dem Tod ein Zeichen der Nächstenliebe und der Solidarisierung mit Kranken und Behinderten.“ So schrieben im Jahr 1990 der Rat der Evangelischen Kirch in Deutschland (EKD) und die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) auf Seite 17 in ihrer ersten gemeinsamen Schrift „Organtransplantationen“.

25 Jahre später – d.h. im Jahr 2015 – bekräftigte die DBK in der Schrift „Hirntod und Organspende“ diese Aussage mit den Worten: „DieEntscheidung zur postmortalen Spende eigener Organe stellt einen großherzigen  Akt  der  Nächstenliebe  dar,  der  als  solcher  frei von  allem sozialen Druck bleiben sollte.“

Papst Benedikt XVI. sagte in seiner Rede am 07.11.2008 an die Teilnehmer des internationalen Kongresses zum Thema „Ein Geschenk für das Leben. Überlegungen zur Organspende“, die Organspende „ist eine besondere Form des Zeugnisses der Nächstenliebe.“

Bei dem Begriff „Nächstenliebe“ stellt sich zunächst die Frage, wer mein Nächster ist. Einige christliche Gruppen sagen, dass im Zusammenhang mit Organspende mein Nächster nur der Mensch  sei, den ich kenne, also Verwandte, Freunde und Bekannte. Da jedoch bei der Organspende der Empfänger unbekannt bleibt, könne es nie mein Nächster sein. Daher sei die Aussage „Organspende ist eine Akt der Nächstenliebe“ falsch. Liegen damit diese christlichen Gruppen richtig?

Jesus wurde einmal gefragt, wer denn mein Nächster sei. Als Antwort erzählte er ihnen das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25-37). Uns ist heute die Angabe „ein Mann aus Samarien“ wie eine Ortsangabe. Die soziale Bedeutung ist kaum bekannt: Seit der Reichsteilung nach dem Tod Salomos im Jahr 931 v.C. waren die Juden im Südreich nicht gut auf die Menschen aus Samarien (Nordreich) zu sprechen. Sie führten bis zum Untergang des Nordreichs im Jahr 722 v.C. mehrere Kriege gegeneinander. Die abschätzende Haltung der Juden gegenüber den Menschen im Norden blieb bis zur Zeit Jesu in der Weise erhalten, dass kein Jude einen Samariter noch nicht einmal gegrüßt hat, geschweige denn mit ihm gesprochen hätten. Ausgerechnet solch ein Mann half dem halbtoten Juden.

Jesus zeigt mit diesem Gleichnis deutlich auf, dass es gegenüber in Not geratenen Menschen keine Grenzen und keine Hindernisse geben darf. Einem in Not geratenen Menschen ist zu helfen, ansonsten ist es keine Nächstenliebe. Dies gilt insbesondere, wenn man dabei selbst nicht zu Schaden kommt.

Foto: Matthias Stolt / AdobeStock

Über den Autor/ die Autorin

Pater Klaus Schäfer SAC

Pater Klaus Schäfer SAC arbeitet seit vielen Jahren als Klinikseelsorger, derzeit in Regensburg. Er machte sich mit seinem Einsatz für Eltern - nach Tot- und Fehlgeburt - bundesweit einen Namen. Seit 2014 bemüht er sich um eine sachlich korrekte Aufklärung zu Hirntod und Organspende. Hierzu schuf er im Januar 2014 die Internetseite www.organspende-wiki.de und veröffentlichte zahlreiche Bücher und Artikel.